Die Zukunft ist grün

13. Januar 2010
Von Ralf Fücks
Dreißig Jahre nach ihrer Gründung sind die Grünen im Zentrum der Gesellschaft angekommen. Ihre Anliegen prägen die politische Agenda, von Klimaschutz und erneuerbaren Energien bis zur Gleichstellung der Frauen und Chancengleichheit in der Bildung. Bioprodukte und fairer Handel sind chic, grüne Technologien gelten als Wachstumsmärkte der Zukunft. Kurz und gut: Grün wird hegemonial – als Denkweise, Lebensstil, Wirtschaftsweise. Daran ändert auch die neue schwarz-gelbe Koalition nichts. Sie kann die grüne Trendwende allenfalls verzögern, aber nichts dagegen setzen. Sie erscheint schon jetzt als bloße Übergangskoalition.

Alles hat seine Zeit

Die ersten zwei Nachkriegsjahrzehnte der Bundesrepublik wurden von der CDU geprägt. Adenauer und Erhard führten das Land in die westliche Gemeinschaft und stellten die Weichen für die soziale Marktwirtschaft. Ab Mitte der 60er bahnte sich ein politischer und kultureller Umschwung an. Der Drang nach Reformen mündete in die sozialliberale Koalition. In ihrer aufsteigenden Phase ging es um „Mehr Demokratie wagen“, Bildung für alle und Entspannungspolitik. Doch der sozialdemokratische Fortschrittsgeist welkte schon bald unter dem kalten Luftzug wirtschaftlicher Krisenanfälligkeit, dem Terror der RAF und dem heftigen Streit um Atomkraft und Raketenrüstung. Helmut Schmidt, der 1974 Willy Brandt abgelöst hatte, geriet zunehmend in Konflikt mit den aufkommenden außerparlamentarischen Bewegungen und den linken Intellektuellen. Damit entstand der Resonanzboden für eine neue Partei, die eine Vielfalt von Oppositionsströmungen in sich aufsog.

Dass die Grünen überlebten, grenzt an ein Wunder, so gegensätzlich waren die Bestandteile, die 1979/80 zusammenkamen: konservative Umweltschützer, Linksradikale, SPD-Dissidenten, Feministinnen, Bürgerinitiativ-Aktivisten und noch viel mehr. Als die Partei zur Bundestagswahl 1990 mit dem Slogan „Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter“ antrat und an der Fünfprozenthürde scheiterte, schien das Ende nah. Aber sie stieg wie ein Phönix aus der Asche, fusionierte mit den Bürgerrechtlern von Bündnis 90 und bahnte sich den Weg in die Bundesregierung. Auch das Scheitern des rot-grünen Projekts und der Abgang  des großen Zampanos Joschka Fischer konnten ihren Aufstieg nicht bremsen. Heute stellen die Grünen direkt gewählte Bürgermeister in zwei Dutzend Städten, darunter Bad Homburg, Freiburg, Konstanz und Tübingen. Sie sind auf dem Weg zu einer kommunalen Großmacht und greifen nach der Mehrheit in der Hauptstadt Berlin. Von SPD wie Union werden sie als Koalitionspartner umworben.

Von der Ökologie zur Ökonomie

Damit kein Hochmut aufkommt: Die Grünen haben über die Jahre eine außergewöhnliche Zahl begabter, taktisch gewiefter und sachkundiger Köpfe hervorgebracht. Aber sie haben sie auch in großer Zahl verschlissen, und sie standen sich oft genug selbst im Weg. Ihre Führungsstruktur ist bis heute kompliziert, und bisweilen steht der Zwang zum Proporz einer klaren Profilierung entgegen. Ihr fast unaufhaltsamer Erfolg verdankt sich vor allem der Tatsache, dass sie auf einer langen historische Welle reiten, die sie selbst mit losgetreten haben. Mit der Ökologie vertreten sie ein Jahrhundertthema, für das ihnen nach wie vor eine hohe Kompetenz zugeschrieben wird. Und sie haben es verstanden, von der Ökologie die Brücke zur Ökonomie zu schlagen. Die grüne Energierevolution, neue Konzepte nachhaltiger Mobilität, der ökologische Umbau unserer Städte, eine naturverträgliche Landwirtschaft - all das wird die nächsten Jahrzehnte prägen. Die Grünen haben kein Monopol mehr auf diese Themen. Das ist gut so, denn der ökologische Umbau braucht breite Mehrheiten in der Gesellschaft wie in der Politik. Aber sie können die Rolle der Avantgarde spielen – einer vorwärtstreibenden Kraft, die Visionen mit konkreter Handlungskompetenz verbindet.

Die große Transformation der Industriegesellschaft erfordert und ermöglicht auch neue Allianzen. Die Grünen finden inzwischen offene Türen und Ohren auch in der Industrie, selbst die Banken sind nicht mehr ökologisch blind. Zwar gibt es nach wie vor harte Konflikte etwa mit der Atom- und Kohlelobby, und der Bundesverband der Deutsche Industrie zählt immer noch zu den Öko-Bremsern. Aber die Trendwende hat auch in der Wirtschaft begonnen. Das ist ein Grund dafür, dass sich auch die Koalitionsoptionen der Grünen erweitert haben. Die ökologische Frage verläuft nicht entlang der traditionellen Links-Rechts-Achse. Das wusste schon Rudi Dutschke, der für ein Bündnis mit wertkonservativen Kräften eintrat, weil er in der Umweltkrise die „Gattungsfrage“ gestellt sah.

Neue Räume für die Grünen

Auch andere Kernthemen der Grünen sind inzwischen in andere Milieus übergesprungen. Dazu zählt die Abkehr vom patriarchalen Familienmodell wie eine akzeptierende Migrationspolitik, die auf Gleichberechtigung und Integration zielt. In den neuen kreativen Berufen, die mit dem Aufstieg des Internet verbunden sind, gibt es viel Sympathie für grüne Ideen herrschaftsfreier Kommunikation und freien Zugangs zu Informationen. Schließlich rückt mit der überbordenden Staatsverschuldung ein Thema ins Zentrum, das den Grünen geradezu in die Hände spielt: die Notwendigkeit einer nachhaltigen Finanzpolitik, die den künftigen Generationen nicht immer neue Lasten aufbürdet.

Die Krise der Volksparteien, bei der die SPD der Union vermutlich nur vorangeht, öffnet neue Räume für die Grünen. Ideell sind sie längst keine Randpartei mehr. Das drückt sich zunehmend auch in Wählerstimmen aus. In vielen Städten konkurrieren sie heute bereits um Rang zwei, in manchen schon um den ersten Platz. Sollen sie sich deshalb zum Ziel machen, zur „grünen Volkspartei“ zu werden? Wenn Volkspartei bedeutet, viele Strömungen auf einem kleinsten gemeinsamen Nenner zu bündeln, dann ist das keine attraktive Perspektive. Die Grünen müssen Vorreiter für Reformen bleiben, eine unbequeme, kreative und diskussionsfreudige Partei. Aber auch dafür wächst das Potenzial. Die Aussichten sind gut, dass die grüne Erfolgsgeschichte erst begonnen hat.

Dieser Artikel erschien zunächst in leicht veränderter Form in der Berliner Zeitung vom 13.1.2010.


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Bilder von der Feier "30 Jahre Grün"

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.